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2. Strafsenat: Angeklagter wegen versuchten Mordes an einem Polizeibeamten zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt

Datum: 24.03.2023

Kurzbeschreibung: 

2. Strafsenat: Angeklagter wegen versuchten Mordes an einem Polizeibeamten zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter dem Vorsitz von Dr. Roderich Martis einen 62-jährigen deutschen Staatsangehörigen wegen versuchten Mordes jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Sein PKW wurde eingezogen. Der Angeklagte wurde zudem zu einer Schmerzensgeldzahlung an den verletzten Polizeibeamten in Höhe von 30.000 Euro verurteilt. Dazuhin hat er dem Polizeibeamten sämtliche materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen.

 

Feststellungen des Senats zu der Gesinnung des Angeklagten

Der Senat hat festgestellt, dass sich der Angeklagte seit 2017 zunehmend radikalisierte, sich als Staatsangehöriger des Bundesstaats Großherzogtum Baden bezeichnete, die Bundesrepublik Deutschland ablehnte und an Treffen einer Gruppierung teilnahm, die behauptet, dass das Deutsche Kaiserreich fortbestehe und sich immer noch im Kriegszustand befinde. Der Angeklagte lehnte das Grundgesetz und die geltende Rechtsordnung ebenso ab wie die Corona-Maßnahmen. Im Jahr 2021 erklärte er in Chats, die Regierung sei „Lumpengesindel“, er wolle sich „bewaffnen und die Bande einfach abknallen“. Polizeibeamte beschimpfte er ab August 2021 in Chats, in Briefen und in Aushängen an seiner Wohnungstür als „Milizen“, „Terroristen“ und „Kombattanten“ und behauptete, er habe das Recht, diese „Kombattanten straffrei zu eliminieren“. Dabei wusste er, dass weder die geltende Rechtsordnung noch irgendwelche „Reichsgesetze“ die Ermordung von Polizisten erlaubten. Er behauptete daher, dass in Deutschland seit 1990 die „Haager Landkriegsordnung“ gelte und stellte damit bewusst seine Fantasierechtsordnung über das geltende Recht.

 

In den Jahren 2020 und 2021 bewaffnete er sich mit Armbrüsten und einer Pfefferspray-Pistole. Im Jahr 2022 bewahrte er in seiner Wohnung 10 funktionstüchtige Patronen für eine Pistole auf. Bereits im April 2021 trat der Angeklagte eine Verkäuferin in einem Getränkemarkt gegen den Oberschenkel, weil er keine Maske tragen wollte und diese sich deshalb weigerte, an ihn Bierkästen zu verkaufen. Er bezahlte zudem keine Bußgelder wegen von ihm begangener Ordnungswidrigkeiten mehr.

 

Feststellungen des Senats zu der Tat

Am Abend des 7. Februar 2022 trank der Angeklagte im Landkreis Lörrach zunächst bei einem „Montagsspaziergang“ gegen Corona-Maßnahmen und danach bei einer Geburtstagsfeier Alkohol und fuhr um 22:11 Uhr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,19 Promille nach Hause. Weil er dabei zu schnell fuhr, beabsichtigte eine Polizeistreife, ihn zu kontrollieren. Die Polizisten konnten ihn zwar dreimal anhalten. Er fuhr aber jeweils wieder los, ohne sich der Kontrolle zu stellen und konnte zunächst flüchten.

 

Um 23:16 Uhr wollte eine weitere Polizeistreife den fahruntüchtigen Angeklagten erneut anhalten, um seine Trunkenheitsfahrt zu beenden. Um 23:19 Uhr stoppten dazu vor dem PKW des Angeklagten auf der Bundesstraße 3 bei Efringen-Kirchen zwei Polizeifahrzeuge und hinter ihm ein drittes Fahrzeug. Der Angeklagte hielt darauf zuerst an, fuhr dann aber nach hinten auf das dort wartende Polizeifahrzeug auf und gleich danach wieder nach vorne los.

 

Aus einem weiteren Polizeifahrzeug, das 15 Meter vor dem PKW des Angeklagten angehalten hatte, stieg ein Polizeibeamter aus und lief – für den Angeklagten im Scheinwerferlicht gut sichtbar – auf den PKW des Angeklagten zu, um ihn aufzufordern, auszusteigen. Aufgrund seiner ideologischen Einstellung, wonach die ihm bekannten Gesetze der Bundesrepublik Deutschland für ihn nicht gelten würden, Polizeibeamte ihn deshalb nicht anhalten dürften und er sich das von ihm erfundene „Recht“ nehmen könne, Polizisten zu töten, entschloss sich der Angeklagte, seine politische Überzeugung über die Gesundheit und das Leben des Polizeibeamten zu stellen und mit seinem PKW auf diesen schnell zuzufahren.

 

Der Beamte versuchte, nach hinten auszuweichen und gab aus seiner Dienstwaffe in Notwehr zwei Schüsse auf die Frontscheibe des PKW des Angeklagten ab. Obwohl der Angeklagte noch vor dem Beamten hätte abbremsen oder ausweichen können, wollte er dies gerade nicht, sondern lenkte seinen beschleunigenden PKW bewusst nach links auf diesen zu. Mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h fuhr er mit der Front seines PKW den Polizeibeamten an, verletzte diesen absichtlich an beiden Knien und lud ihn auf die Motorhaube auf. Statt wenigstens jetzt langsam abzubremsen, beschleunigte der Angeklagte seinen PKW weiter und lenkte diesen kurz darauf nach rechts. Der Polizeibeamte stürzte dadurch bei einer Geschwindigkeit des PKW von 31 km/h nach links auf die Straße und verletzte sich beim Aufprall schwer am Kopf. Nach der Überzeugung des Senats hätte der Aufprall auf die Straße auch zum Tod des Polizeibeamten führen können. Der Angeklagte rechnete von vorneherein mit den erheblichen Verletzungen und dem möglichen Tod des Polizeibeamten. Beides nahm er aber in Kauf, um seine ideologische Überzeugung durchzusetzen.

 

Der Angeklagte fuhr ohne anzuhalten weiter, dies auch noch nachdem drei Polizeibeamte aus ihren Dienstwaffen zwischen 23:19 und 23:20 Uhr 25 Schüsse auf seinen PKW abgegeben hatten, wodurch er am Oberarm verletzt wurde. Erst um 23:25 Uhr konnte der Angeklagte von einer weiteren Polizeistreife angehalten, festgenommen und am nächsten Tag dem Haftrichter vorgeführt werden. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft, die vom Senat heute aufrechterhalten wurde.

 

Der verletzte Polizeibeamte erlitt ein Schädelhirntrauma und Frakturen und befand sich zunächst auf der Intensivstation der Universitätsklinik und danach drei Wochen lang in einer stationären Rehabilitationsbehandlung. Aufgrund der von ihm erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung ist er bis heute dienstunfähig.

 

Weitere Informationen zu dem Verfahren

Der 2. Strafsenat verhandelte an 16 Verhandlungstagen und vernahm dabei 43 Zeugen und 7 Sachverständige. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagte, dem Generalsbundesanwalt und der Nebenklage stehen gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, die binnen einer Woche nach Verkündung des heutigen Urteils eingelegt werden muss.

 

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Oktober 2022: hier.

Pressemitteilungen des Generalbundesanwalts vom 12. September 2022: hier.

Aktenzeichen

2 – 2 StE 15/22 – Oberlandesgericht Stuttgart

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