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3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilt vier Angeklagte wegen Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung „Ahrar al-Sham“

Datum: 06.10.2016

Kurzbeschreibung: 

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verkündete heute unter dem Vorsitz von Dr. Hartmut Schnelle in einem Staatsschutzverfahren gegen vier Unterstützer der syrischen Vereinigung „Ahrar al-Sham“ („die freien Männer Groß-Syriens“) am 40. Verhandlungstag sein Urteil. Der Angeklagte Kassem El R. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen nach § 129a und b Strafgesetzbuch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die drei weiteren Angeklagten wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt: der Angeklagte Ali F. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, die Angeklagten Nuran B. und Hassan A. S. wegen eines Falles zu Freiheitsstrafen von 2 Jahren bzw. 1 Jahr und 9 Monaten.

Seit 8. Dezember 2015 hatte der Senat im Rahmen der Beweisaufnahme 25 Zeugen und 7 Sachverständige vernommen sowie zahlreiche Dokumente, abgehörte Telefongespräche und eine Vielzahl von Chat-Protokollen in die Verhandlung eingeführt.

Nach den Feststellungen des Senats strebte die als salafistisch einzustufende „Ahrar al-Sham“ seit 2011 das Ziel an, die Regierung des syrischen Staatspräsidenten Assad gewaltsam zu beseitigen und durch einen islamischen Staat unter ihrer Führung zu ersetzen. Zu diesem Zweck verübte die hierarchisch strukturierte Vereinigung durch ihre bis zu 20.000 Kämpfer umfassenden militärischen Einheiten – häufig in Kooperation mit der jihadistischen Al-Nusra-Front – Anschläge gegen Angehörige der syrischen Armee und Sicherheitskräfte. Sie war darüber hinaus seit 2012 an der Belagerung und dem Artilleriebeschuss mehrerer alawitischer Dörfer beteiligt, wodurch zahlreiche Zivilisten zu Tode kamen.

Der Senat ist ferner zu der Überzeugung gelangt, dass der 33-jährige Libanese Kassem El R. und der 32-jährige Deutsch-Libanese Ali F. die „Ahrar al-Sham“ im Frühjahr 2013 mit Ausrüstungsgegenständen versorgten. Während Kassem El R. fünf gebrauchte Krankenwagen auf dem Landweg über die Türkei nach Syrien überführte und sie dort der Vereinigung übergab, beschaffte Ali F. zwei militärisch nutzbare Funkscanner und brachte sie zu der Organisation nach Syrien. Über den 50-jährigen Deutschen Nuran B., der in Amstetten ein Unternehmen für gebrauchte Militärkleidung betrieb, erwarb Kassem El R. darüber hinaus im Dezember 2013 im Auftrag eines Mittelsmanns der „Ahrar al-Sham“ rund 7.500 Stiefel, 6.000 Militärparkas und 100 Militärhemden im Wert von etwa 130.000 Euro für die Vereinigung. Der 30-jährige Libanese Hassan A. S. war in die Bestellung des Ausrüstungsmaterials eingebunden und leistete eine Anzahlung in Höhe von 4.000 Euro auf den Kaufpreis. Mit Hilfe von Ali F. organisierte Kassem El R. anschließend den Transport der Ware über die Türkei nach Syrien. Anfang 2014 traf die Lieferung bei den „Ahrar al-Sham“ in Syrien ein, wurde der Organisation aber von der Gruppierung „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (ISIS) bei einem bewaffneten Überfall wieder abgenommen.

Der Senat hat bei der Strafzumessung u. a. berücksichtigt, dass es sich bei „Ahrar al-Sham“ um eine besonders schlagkräftige terroristische Vereinigung handelt und die Lieferung der Militärkleidung einen erheblichen Umfang hatte. Strafmildernd wertete der Senat bei allen Angeklagten, dass die Vereinigung die Militärkleidung nur kurze Zeit in Besitz hatte. Zugunsten des Angeklagten Nuran B. wertete der Senat insbesondere, dass dieser bereits am ersten Verhandlungstag ein Geständnis ablegte und – anders als die anderen Angeklagten – nicht genau wusste, für welche Rebellengruppe die Warenlieferung bestimmt war. Bei dem Angeklagten Kassem El R. ordnete der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft an (vgl. § 268b StPO).

Den Angeklagten steht gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.

Aktenzeichen

3 - 2 StE 8/15

Relevante Normen:

§ 129b Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)

Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

 

§ 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) - Auszug

Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) … zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

 

§ 129a Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB) - Auszug

Wer eine in Absatz 1 (…) bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird (…) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (…) bestraft.

 

§ 268b Strafprozessordnung (StPO)

Bei der Urteilsfällung ist zugleich von Amts wegen über die Fortdauer der Untersuchungshaft oder einstweiligen Unterbringung zu entscheiden. Der Beschluss ist mit dem Urteil zu verkünden.



Links zu früheren Pressemitteilungen:

Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2015

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. November 2015

 


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